von Thomas Koch
Andreas Tjernshaugen / Das verborgene Leben der Füchse

Ich mag ja diese skandinavischen Autoren. Irgendwie sind sie sehr selbstgewiss, aber nie von oben herab. Immer schwingt eine heitere Note mit, jedenfalls bei den von mir bevorzugten, wie z. B. Fredrik Sjöberg, oder nun auch Tjernshaugen. Was er alles über Füchse ausgräbt ist fabelhaft (in jeder Hinsicht sowohl was Fabeln als auch Grabungen betrifft …), spannend und super lesenswert. So ganz unter uns: unglaublich gutes Material für Smalltalks und kleine Impulsvorträge bei z.B. Wanderungen oder längeren Autofahrten. Muss der Städter haben, das Buch!
von Thomas Koch
Hillary Rodham Clinton und Louise Penny / State of Terror

Also vorweg gesagt: die toughe, unbeugsame Außenministerin, die auch mal ihrem Präsidenten die Stirne bietet und allen Schlichen auf die Spur kommt, ist natürlich ein schönes (gefärbtes?) Selbstbild der einen Autorin; die eine oder andere Schablone vergangener und aktueller Regierungschefs oder Minister mag man für gelungen halten oder nicht.
State of Terror ist dennoch ein gut geschriebener, spannender Thriller zu einem Thema, über das sich auch abseits solcher Bücher nachzudenken lohnt: welche Freundschaften oder besser Zweckgemeinschaften eigentlich feindlicher Verbünde bedrohen uns, unsere Demokratien.
Mehrere Terroranschläge in Europa sind der Ausgangspunkt der Handlung; um herauszufinden, wie diese zusammenhängen und welche weiteren Gefahren hinter diesem ersten Bild noch stehen, jettet die Außenministerin der USA um die Welt und man liest natürlich interessiert, wie eng geplant die Reisen sind; wie man sich fühlt, wenn die Dusche fehlt oder man angelogen wird und dies aus diplomatischen Gründen nicht entsprechend erwidern darf. Der Kritik in „Die Zeit“ ist zuzustimmen, wenn diese sagt, dass man sich unwillkürlich fragt, was Fiktion und was Erinnerung ist, und was vielleicht sogar echte Ansichten Clintons sind, die sie auf diesem Wege publiziert.
Auf jeden Fall spannend zu lesen und damit einfach gute Unterhaltung.
von Thomas Koch
Anthony Doerr / Wolkenkuckucksland

Was für eine Geschichte: Vor bald 2.000 Jahren ersinnt ein Grieche eine närrische Märchenreise für seine kranke Nichte - und schreibt sie nieder. Hunderte Jahre später taucht das Manuskript im von Osmanen belagerten Konstantinopel wieder auf; wieder hunderte Jahre danach schafft ein alter Bibliothekar in Idaho es, den Text bzw. seine Reste zu entziffern und zu übersetzen; weitere zweihundert Jahre später findet sich der Text im Raumschiff Argos, das mit wenigen ausgewählten Menschen, vielleicht den Letzten unserer Art, auf dem Flug zu einem bewohnbaren Planeten ist. Überall entfaltet der Text wundersame Wirkung. Und zwischen den Stationen verliert das Abendland seinen Osten, geschieht der Korea-Krieg, erwacht die moderne Welt und droht der menschengemachte Untergang der Zivilisation.
So linear ist das schon eine schöne Schnur, aber Doerr nimmt sie nun auseinander und verwebt die Teile kunstvoll zu etwas Neuem; er haucht den Protagonisten der einzelnen Zeitabschnitte ein intensives Leben ein, findet für jede Epoche, für jede Figur die richtige Sprache, schaut tief in die Köpfe der Guten wie der Bösen. Und das auch noch unfassbar spannend, bannend, berührend und aufrührend. Der Einstieg ist wegen des weitverzweigten Plots und des vielen Personals nicht ganz einfach – nicht bange werden, Durchhalten lohnt sich, rasch mag man das Buch dann gar nicht mehr aus der Hand geben. Und, nur ganz am Rande wegen des Raumschiffs: auch wer keine Science Fiction mag, der möge, der sollte in diesem Fall einmal eine Ausnahme machen!
von Thomas Koch
María José Ferrada / Kramp

Das Büchlein spielt in den 80er-Jahren in Chile (wer es nicht präsent hat - es empfiehlt sich dann wirklich, ein paar Minuten bei z.B. Wikipedia über Pinochet und die brutale Diktatur nachzulesen).
Handelsvertreter versuchen irgendwie über die Runden zu kommen, bereisen Städtchen und Dörfer, treffen sich in den immergleichen Hotels und Bars, tauschen und flunkern ihre Erfahrungen aus. Einer von ihnen, der mit Kramp-Produkten (schaut mal im Internet, die Firma gibt’s immer noch) handelt, erzielt zusammen mit seiner siebenjährigen Tochter, die die potentiellen Käufer durchdringend anschaut, deutlich gesteigerte Verkäufe und schnellere Bezahlung. Es bahnt sich eine super unterhaltsame Parallelerziehung an, die nach Meinung und Befinden der Tochter wohl immer so weiter gehen könnte, wenn da nicht die Schatten und Schergen Pinochets das Leben verdüsterten. Aus einem armen Land wird eine arme Diktatur.
Aus nur scheinbar altkluger, naiver Mädchensicht geschrieben entwickelt das Buch rasch einen sehr starken Sog, ist von bestürzender, überzeugender Tiefe; die Charaktere sind glaubhaft mit wenigen, aber intensiven Strichen gezeichnet. Tolle Lektüre, man will mehr von ihr lesen!
von Thomas Koch
Massimo Carlotto / Die Frau am Dienstag

Carlotto, einer der ganz großen Italiener, legt hier mal ein fast lyrisches Beziehungsdrama vor: ein gealterter, gehandicapter Gigolo und Pornodarsteller ist verliebt in eine Kundin, die jeden Dienstag eine Stunde lang seine Dienste in Anspruch nimmt. Die aber auch eine krasse Vergangenheit hat, die sie wieder einholt. Das Ganze wird gewürzt mit einem sanften alten Transvestiten, der aber in Wirklichkeit wenig zimperlich und sehr entschlossen ist, und einem ruppigen Privatdetektiv, in den nun die oben genannte Dienstagsfrau verliebt ist. Und dann geht es zur Sache, aber ordentlich. Und, wer Carlotto kennt: plastisch und deutlich.
Ein saftiges, ein melancholisches, ein tolles Buch, das wirklich Spaß macht.
von Thomas Koch
Volker Busch / Kopf frei!

Geht uns das nicht allen so: wir werden fahrig, machen Fehler, alles wird zu viel, immerzu online, die Konzentration lässt nach - aber Urlaub ist noch nicht in Sicht, und das Handy surrt schon wieder …
Volker Busch zeigt eindrücklich und sehr plastisch, was wir unserem Hirn alles zumuten (räumt auch mit Mythen auf, von wegen Multitasking und so) und wie wir ihm Entlastung verschaffen können – verständlich und nachvollziehbar. Sehr empfehlenswert. Das Einzige, was mir fehlt: Zwischendurch mal eine halbe Stunde oder mehr lesen …
von Thomas Koch
David Wagner / Der vergessliche Riese

Ein Thema, mit dem sich viele in ihren Familien bereits auseinandersetzen oder noch auseinandersetzen werden: Demenz.
Der Autor erzählt ohne Pathos, mit wenig Empathie, manchmal etwas zu leichthin, von der fortschreitenden Demenz seines Vaters bzw. entwickelt sie durch die Abbildung der Dialoge zwischen Vater und Sohn.
So wie für den Vater immer wieder Begebenheiten aufs Neue erzählt werden müssen, so wiederholen sich auch die Ereignisse bei den Besuchen des Sohnes beim Vater. Dieses Stilmittel führt der Autor trotz seiner bemerkenswerten sprachlichen Eleganz bisweilen schmerzhaft an die Grenze öder Langweiligkeit; insgesamt fügt sich dadurch jedoch das Bild der schwierigen Situation für alle.
Es ist unmittelbar einleuchtend, dass es schwer ist, für eine solche Geschichte ein Ende zu finden. Das Ende, dass der Autor gewählt hat, ist daher eines, bei dem man das Buch nicht unbedingt mit einem zufriedenen Seufzer beiseite legt, aber das tut der Geschichte keinen Abbruch.
Vielleicht, nein bestimmt, wäre es eine lohnenswerte Abrundung, zu diesem Thema auch den Film mit Anthony Hopkins The Father zu sehen, bei dem das Abgründige, die Verwirrtheit, die Orientierungslosigkeit aus Sicht des Dementen dargestellt werden. (Wer nicht streamen mag oder kann: https://inside-books.buchkatalog.de/Product/3000003725201/168707/10002/-3/Film_Spielfilme_Drama//The-Father-1-DVD/4099276460822241481/4099276460822241477/%204099276460822241476)